Von Kosten und Nutzen im Garten Eden

By Oliver Tanzer, published in TanzersEquilibrium in 14-03-2012

Ein FURCHE-Gespräch mit Tomas Sedlacek über die Ökonomie von Gut und Böse, alte Mythen und moderne Illusionen über die Steuerbarkeit der Welt.

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Ich möchte das Gespräch gerne mit einem Vorurteil beginnen. Tschechen so heißt es, seien begnadete Agnostiker und große Realisten. Da ist schon was Wahres dran. Und nun kommen Sie daher und stellen ein Buch über Mythen und Träume, über Religion und die moralischen Werte der Ökonomie vor. Wie konnten Sie es wagen? Ja, das hab ich mir auch gedacht und ich war total überrascht, dass das Buch ein solcher Erfolg geworden ist. Einer unserer bekanntesten Pfarrer, Tomas Halik, hat einmal gesagt, Tschechen seien nicht Agnostiker sondern „Somethingists“. Sie glauben tief daran, dass es irgendetwas höheres gibt, auch wenn sie nicht darüber sprechen. Woran sie nicht glauben, das sind klerikale Hierarchien und die Amtskirche. Ich glaube auch es war überraschend, dass jemand die Bibel mit Ökonomie verknüpft. Sie tun das etwa, indem Sie den Traum des Pharao, den Josef dann als den Traum von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren deutet, als erste Idee eines Konjunkturplans beschreiben. Und als Ansatz des keynesianischen Zyklus, in guten Zeiten zu sparen um besser durch die schechten Zeiten zu kommen. Das Beste daran ist aber, dass damals alles gut gegangen ist, weil der Pahrao die Konsequenzen aus dem Traum und seiner Deutung gezogen hat. Deshalb wurden Getreidespeicher angelegt und gespart. Er machte damit ökonomisch nichts anderes als die Wellenbewegung des Zyklus zu abzuflachen. Weniger Wachstum in Wachstumsperioden, weniger Schrumpfung in Krisenzeiten. Das war wesentlich besser, als alles, was die hochgezüchtete Ökonomie in den vergangen Jahren getan hat. Der Pharao hatte eben noch keine mathematisch fundierte Versicherung, dass der Schadensfall niemals eintreten würde. Das ist schon erstaunlich, was da alles vergessen wurde. Wenn Sie die Mainstream-Ökonomie mit den wirtschaftlichen Ideen eines Thomas von Aquin vergleichen werden Sie feststellen dass Thomas der viel wissenschaftlichere Denker ist. Die moderne Ökonomie besteht aus viel mehr Glauben und Vorspiegelungen, als die wirtschaftlichen Lehren des Heiligen Thomas. Das ist doch erstaunlich. Weil wir gerade bei den Schwächen sind: Sie schreiben, dass Zeiten der Hochkonjunktur die Schwächen des Systems verdecken, während Krisen sie offenlegen. Was sehen denn also heute, etwa in Zusammenhang mit Europa und dem Euro? Wir sagen zum Beispiel, dass Europa und der Euro tot sind aber das Gegenteil ist der Fall. Die EU war noch nie so lebendig wie heute. Zu keiner Zeit war sie ein so großer Bestandteil der öffentlichen Diskussion. Heute wir europa schon im entferntesten Dorf und auf den entlegendsten Kneipen diskutiert. Davon hätten die Gründerväter nur träumen können. Aber der Charakter der Diskussion ist doch durchwegs negativ. Allein schon, wenn man die Vorurteile gegen die Südeuropäer betrachtet. Sedlacek: Sie meinen das Gerede von den „faulen Greichen“ etc. Ja das ist dumm, aber wenigstens gibt es eine flächendeckende Diskussion. Nicht alle, die diskutieren sind so dumm. Die Konlusio ist, dass in der Geschichte Europas immer der eine dem anderen aus der Patsche geholfen hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren das sogar die Griechen, die den Deutschen geholfen haben. Es geht immer hinauf und hinunter. Das Geheimnis ist, die schwachen Teile nicht absterben zu lassen. Gehen wir ein wenig ins Grundsätzliche zurück. Sie sagen ja, die Ökonomie sei wie ein Zombie, sie trinke das Blut der Menschen, ihre Seele sei mit der Moral verloren gegengen. Je mehr Roboter man ist, desto erfolgreicher ist man. In Chaplins Film Modern Times gibt es auch eine Vorrichtung für das Essen, sodass niemand Zeit verliert für die Arbeit. Das ist eine schreckliche Vision, aber wenn Sie sich umsehen, dann stellen Sie fest, es ist tatsächlich eingetreten. Seit Anbeginn der Geschichte tötet das Harte das Weiche. Nehemen Sie nur Kain und Abel. Am Prinizp hat sich nichts geändert. Die weichen Gesellschaftseinheiten sind bedroht: Die Arbeit zerstört die Familie. Sex tötet Liebe etc. Also muss man die Menschheit vor sich selbst schützen. Ja aber wer schützt? Sie schreiben über Platon und Aristoteles, weil sie die Zurückhaltung und die Mäßigung lehrten. Aber beide haben damit in der Realität kaum etwas erreicht. Athen brauchte einen Solon um zu einer echten Reform zu kommen. Wer ist unser Solon? Ich glaube es gib noch keinen Solon. Aber ich bin sicher, dass er außérhalb des Systems stehen muss, um eine solche tiefgreifende Reform zu schaffen. Ein guter Weg wäre vielleicht, etwas mehr auf unsere Künstler zu hören. Nehmen wir Chaplins Film. Die Maschine dreht ebenso durch wie der sie bedienende Mensch. Manchmal sind die Künstler viel besser darin, Krisen zu orten als Ökonomen. Das System macht abhängig. Wer es ändern will muss sich beschränken. Das wird aber weh tun. Früher gab es Dinge die eine Beschränkung auferlegt haben. Es war die Natur oder es war Religion und Moral oder das Gesetz. Jetzt verstehen wir langsam, dass wir selbst das System sind und uns selbst beschränken müssen. Unser Imperativ ist aber das Genießen und das Konsumieren. Wenn man den Homo Oeconomicus untersucht, wird man feststellen, dass er ein Sklave seiner Leidenschaften ist. Das Einzige was ihn stoppen kann, ist Geldmangel. Den Geldmangel kann man über Schuldenmachen und Kredit beseitigen. So ist es ja auch über Jahre hinweg geschehen – in privaten und in öffentlichen Haushalten. Wir sind eine Schuldengesellschaft. Von Ihrer Darstellung ausgehend könnte man den Wirtschaftszyklus durch einen moralischen Zyklus ergänzen. Der würde eine Kurve ergeben die der Wachstumskurve genau entgegengesetzt ist. Die Moral sinkt wenn die Wirtschaft wächst und steigt, wenn die Wirtschaft nach unten geht. Das lässt sich sogar am Buchhandel ablesen: Im Aufschwung hätte niemand ein Buch über Wirtschaft und Moral gekauft. Jetzt kaufen es Hunderttausende. Das ist ein gutes Modell. Wir könnten das noch weiter führen. In den äußersten Extremen der Kurve findet eine Art Selbstfindung statt. Dazu braucht es aber ein Krise. Ja, geneau so ist es. Ich könnte dazu noch eine Dritte Dimension beisteuern. Wenn Sie die Bibel studieren sehen Sie dass Gott amoralisches Verhalten bestraft. Danach kehrt sich das Verhalten um bis es wieder zu einem Exzess kommt. Diese Dynamik setzt sich fort. Das bringt mich zu meinem zweitliebsten Satz aus Ihrem Buch: Ohne Leid gibt es keine Veränderung. Das stammt von CG Jung. Aber es ist eigentlich auch Schumpeters kreative Zerstörung und der Zyklen von Kondratieff wonach eine Krise alte Industrien und Technologien zerstört um neuen zum Durchbruch zu verhelfen. Das kann man so sehen. Ja, aber in unserem Fall würde eine neue Technologie keinen moralischen Aufschwung bringen. Das alte Problem würde sich bloß verjüngen. Mehr als das. Die Forderung nach neuem Wachstum wird heute als sozialer Auftrag gesehen – um Arbeit für die Armen zu schaffen. Wachstum wird als Schlüssel zu allem gesehen und Wachstum rechtfertigt alles. Es scheint ja auch so, als wäre ohne Wchstum keine Sozialpolitik mehr finanzierbar. Deshalb auch das Problem mit den beiden Bieren, das Sie beschreiben. Könnten Sie das kurz erklären? Es geht darum, dass drei Menschen um einen Tisch stehen, aber nur zwei davon ein Bier haben. Das ist das Verteilungsproblem. Wer von den dreien soll leer ausgehen? Bisher wird das Problem durch ein Wunder gelöst: Wir erfinden ein Bier dazu und verschulden uns dafür. Die Frage ist, ob das System nicht in den vergangen 200 Jahren derart gewachsen ist, dass sich der Reichtum vertausendfacht hat? Die Gläser sind also viel größer und können Verlust viel besser verkraften. Um drei volle Biergläser zu erhalten braucht man also eigentlich nur drei Gläser die kleiner sind aber die selbe Menge Bier fassen. Das kleinere Glas wäre wissenschaftlich gesehen die Nachfragefunktion. Das Bier kann man als jene des Angebots sehen. Theoretisch wäre das möglich. Aber praktisch wird es nicht gemacht. Wir sind nämlich niemals zufrieden. Das ist keine ökonomische sondern eine psychologische Tatsache. Sehen Sie da keine Aussicht auf Besserung? Was, wenn man die Schrumpfung kaptialisiert? Energiespartechnologien wären ein Beispiel dafür. Eine Idee ist das schon. Aber löst das das große Problem? Die Frage ist, wie können wir aus unserer Haut, aus unserem ständigen Wollen und Wünschen, die einander oft überlagern und widersprechen – Fallweise auch gefährlich für uns selbst sind? So wie ein Biertrinker der abnehmen will und deshalb zu Rauchen anfängt, statt einfach Wasser zu trinken? Noch dramatischer. Kennen Sie die Fabeln von Äsop? Da gibt es die Geschichte vom Frosch und dem Skorpion. Da ist ein Fluss und auf der einen Seite des Flusses es gibt einen Waldbrand. Alle Tiere retten sich zum anderen Ufer. Nur der Skorpion kann nicht übersetzen. Also fragt er einen Frosch, ihn hinüberzutragen. Aber der Frosch hat Angst. Da bittet ihn der Skorpion klagend und schwörend, er würde niemals seinen Retter angreifen. Der Frosch willigt ein und nimmt den Skorpion auf seinen Rücken. Mitten in der reissenden Strömung spürt der Frosch den Stich des Skorpions. Was hats du gemacht, schreit er. Der Skorpion sagt: Es tut mir leid es ist halt meine Natur. Dann gehen sie beide unter. Wir können auch die Bibel verwenden: Adam und Eva. Ob die beiden vom Apfel gekostet hätten, wenn sie eine wirtschaftliche Kosten-Nutzenrechung angestellt hätten? Ich denke nein. Davor hatten sie keine Sorgen, danach Arbeit Elend und Krankheit. Anderes Beispiel: Warum öffnete Pandora die Büchse? Aus Neugier. Und wir tun vieles nicht einmal bewusst. Mein Punkt ist: Wir kehren das Bild von der unsichtbaren Hand um: Das Schlechte schafft bei uns nicht automatisch das Gute sondern das Gutgemeinte das Schlechte. Das ist vielleicht sogar unser Hauptproblem.